Fabeln

Lessing

Die Pfauen und die Krähe

Eine stolze Krähe schmückte sich mit den ausgefallenen Federn der farbigen Pfaue und mischte sich kühn, als sie genug geschmückt zu sein glaubte, unter diese glänzenden Vögel der Juno. Sie ward erkannt, und schnell fielen die Pfaue mit scharfen Schnäbeln auf sie, ihr den betrügerischen Putz auszureißen. "Lasset nach!" schrie sie endlich, "ihr habt nun alle das Eurige wieder." Doch die Pfaue, welche einige von den eigenen glänzenden Schwingfedern der Krähe bemerkt hatten, versetzten: "Schweig, armselige Närrin, auch diese können nicht dein sein!" - und hackten weiter.

 Die Schwalbe

Glaubt mir, Freunde, die grosse Welt ist nicht für den Weisen, ist nicht für den Dichter! Man kennt da ihren wahren Wert nicht, und ach! sie sind oft schwach genug, ihn mit einem nichtigen zu vertauschen. In den ersten Zeiten war die Schwalbe ein ebenso tonreicher melodischer Vogel wie die Nachtigall. Sie ward es aber bald müde, in den einsamen Büschen zu wohnen und da von niemandem als dem fleissige Landmanne und der unschuldigen Schäferin gehört und bewundert zu werden. Sie verliess ihre demütigere Freundin und zog in die Stadt. - Was geschah? Weil man in der Stadt nicht Zeit hatte, ihr göttliches Lied zu hören, so verlernte sie es nach und nach und lernte dafür - bauen.

Die Sperlinge

Eine alte Kirche, welche den Sperlingen unzählige Nester gab, ward ausgebessert. Als sie nun in ihrem neuen Glanze da stand, kamen die Sperlinge wieder, ihre alten Wohnungen zu suchen. Allein sie fanden sie alle vermauert. »Zu was«, schrien sie, »taugt denn nun das grosse Gebäude? Kommt, verlasst den unbrauchbaren Steinhaufen!«

Die junge Schwalbe

 

"Was macht ihr da?" fragte eine junge Schwalbe die geschäftigen Ameisen. "Wir sammeln Vorrat für den Winter", war die Antwort. "Das ist klug", sagte die Schwalbe, "das will ich auch tun." Und gleich fing sie an, eine Menge toter Spinnen und Fliegen in ihr Nest zu tragen. "Aber wozu soll das?" fragte endlich ihre Mutter. "Wozu? Das ist Vorrat für den bösen Winter, liebe Mutter. Sammle doch auch! Die Ameisen haben mich diese Vorsicht gelehrt" "Lass nur die Ameisen!" versetzte die Mutter. "Uns Schwalben hat die Natur ein schöneres Los bereitet. Wenn der reiche Sommer sich wendet, dann ziehen wir fort von hier."

 

Der Fuchs

Ein verfolgter Fuchs rettete sich auf eine Mauer. Um auf der andern Seite gut herabzukommen, ergriff er einen nahen Dornstrauch. Er liess sich auch glücklich daran nieder, nur dass ihn die Dornen schmerzlich verwundeten. "Elende Helfer", rief der Fuchs, "die nicht helfen können, ohne zugleich zu schaden!"

  Der Geizige

"Ich Unglücklicher!" klagte ein Geizhals seinem Nachbar. "Man hat mir den Schatz, den ich in meinem Garten vergraben hatte, diese Nacht entwendet und einen verdammten Stein an dessen Stelle gelegt." "Du würdest", antwortete ihm der Nachbar, "deinen Schatz doch nicht genutzt haben. Bilde dir also ein, der Stein sei dein Schatz; und du bist nichts ärmer." "Wäre ich schon nichts ärmer", erwiderte der Geizhals; "ist ein andrer nicht um so viel reicher? Ein anderer um so viel reicher! Ich möchte rasend werden."

 

 Der Hamster und die Ameise

"Ihr armseligen Ameisen", sagte ein Hamster. Verlohnt es sich der Mühe, dass ihr den ganzen Sommer arbeitet, um ein so Weniges einzusammeln? Wenn ihr meinen Vorrat sehen solltet! - -" "Höre", antworibete eine Ameise, "wenn er grösser ist, als du ihn brauchst, so ist es schon recht, dass die Menschen dir nachgraben, deine Scheuern ausleeren und dich deinen räuberischen Geiz mit dem Leben büssen lassen!"

Der Hirsch und der Fuchs

Der Hirsch sprach zu dem Fuchse: "Nun weh uns armen schwächeren Tieren! Der Löwe hat sich mit dem Wolfe verbunden." "Mit dem Wolfe?" sagte der Fuchs. "Das mag noch hingehen! Der Löwe brüllt, der Wolf heult und so werdet ihr euch noch oft beizeiten mit der Flucht retten können. Aber als denn, möchte es um uns alle geschehen sein, wenn es dem gewaltigen Löwen einfallen sollte, sich mit dem schleichenden Luchse zu verbinden.

Der Phönix

Nach vielen Jahrhunderten gefiel es dem Phönix, sich wieder einmal sehen zu lassen. Er erschien und alle Tiere und Vögel versammelten sich um ihn. Sie gafften, sie staunten, sie bewunderten und brachen in entzückendes Lob aus. Bald aber verwandten die besten und geselligsten mitleidsvoll ihre Blicke und seufzten: "Der unglückliche Phönix! Ihm ward das harte Los, weder Geliebte noch Freunde zu haben, denn er ist der einzige seiner Art!"

Der Rabe

Der Rabe bemerkte, dass der Adler ganze dreissig Tage über seinen Eiern brütete. "Und daher kommt es ohne Zweifel", sprach er, "dass die Jungen des Adlers so scharfsichtig und stark werden. Gut! Das will ich auch tun." Und seitdem brütet der Rabe ganze dreissig Tage über seinen Eiern, aber noch hat er nichts als elende Raben ausgebrütet.

 Der Strauss

Das pfeilschnelle Renntier sah den Strauss und sprach: »Das Laufen des Strausses ist so ausserordentlich eben nicht; aber ohne Zweifel fliegt er desto besser.« Ein andermal sah der Adler den Strauss und sprach: »Fliegen kann der Strauss nun wohl nicht, aber ich glaube, er muss gut laufen können.«

 Die Gans

Die Federn einer Gans beschämten den neugeborenen Schnee. Stolz auf dieses blendende Geschenk der Natur glaubte sie eher zu einem Schwane als zu dem, was sie war, geboren zu sein. Sie sonderte sich von ihresgleichen ab und schwamm einsam und majestätisch auf dem Teiche herum. Bald dehnte sie ihren Hals, dessen verräterischer Kürze sie mit aller Macht abhelfen wollte, bald suchte sie ihm die prächtige Biegung zu geben, in welcher der Schwan das würdige Ansehen eines Vogels des Apollo hat. Doch vergebens; er war zu steif, und mit aller ihrer Bemühung brachte sie es nicht weiter, als dass sie eine lächerliche Gans ward, ohne ein Schwan zu werden.

 Die Eiche und das Schwein

Ein gefrässiges Schwein mästete sich unter einer hohen Eiche mit der herabgefallenen Frucht. Indem es die eine Eichel zerbiss, verschluckte es bereits eine andere mit dem Auge. »Undankbares Vieh!« rief endlich der Eichbaum herab. »Du nährst dich von meinen Früchten ohne einen einzigen dankbaren Blick auf mich in die Höhe zu richten.« Das Schwein hielt einen Augenblick inne und grunzte zur Antwort: »Meine dankbaren Blicke sollten nicht aussen bleiben, wenn ich nur wüsste, dass du deine Eicheln meinetwegen hättest fallen lassen.«

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